Vorab: Was bringt uns eine gesunde Lebensweise konkret?
Die Professorin Karin Michels ist eine führende Epidemiologin und beschäftigt sich seit Jahrzehnten damit, welchen Einfluss unser Lebensstil auf die Gesundheit hat. Ihre Quintessenz aus großen Bevölkerungsstudien, in denen man Menschen über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet hat, ist:
Allein durch eine gesunde Ernährung können wir 7 bis 10 gesunde Jahre zu unserem Leben addieren. Achten wir auf alle Pfeiler der Prävention, sind es 10 bis 20 gesunde Jahre. Diese Pfeiler sind, in dieser Reihenfolge:
Nicht rauchen
Ein gesundes Körpergewicht
Regelmäßige körperliche Bewegung
Gesunde Ernährung
(Quelle: Interview mit ihr, erschienen in der RHEINPFALZ am Sonntag, 12./13.7.2025)
1. Was sind die Probleme?
Wir sind immer länger ernsthaft krank
Die Zeit im Leben, in der die Deutschen ernsthaft krank sind, beträgt derzeit 11 Jahre im Mittel von Frauen und Männern und steigt weiter an. Lebensspanne bedeutet, wie alt wir im Durchschnitt werden. Gesundheitsspanne bedeutet, wie viele Jahre wir nicht ernsthaft krank sind:
Daten des deutschen statischen Bundesamts von 2022
Wir werden im Alter immer kranker
Laut dem Krankenhaus-Report 2025 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK stieg der Anteil der über 80-Jährigen im Krankenhaus von 13 % im Jahr 2005 auf 22 % im Jahr 2023, wobei viele dieser Hochbetagten Mehrfacherkrankungen hatten (Quelle: https://www.aok.de/pp/gg/update/krankenhaus-report-hochbetagte/)
Wir sterben zu früh
Ein Schreckgespenst: viele Jahre gearbeitet, Familie gegründet, Kinder großgezogen und dann stirbt man „in der Blüte seiner/ihrer Jahre“. Im Jahr 2023 gab es insgesamt rund 1,03 Millionen Sterbefälle in Deutschland. In 138.024 Fällen war der oder die Gestorbene unter 65 Jahre alt, was etwa 13,4 Prozent entspricht.
Was sind die Ursachen der Todesfälle?
Ganz klar: Herz-Kreislauferkrankungen und Krebserkrankungen machen fast 70% der Todesursachen aus:
Daten des deutschen Statistisches Bundesamt aus 2023, ohne Infektionskrankheiten und äußere Einflüsse (Unfälle etc.)
Ein Blick auf die Risikofaktoren
Die klassischen Risikofaktoren (auch "big five" genannt) Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes, Unter- oder Übergewicht und hohe Cholesterinwerte sind weltweit für etwa die Hälfte aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich. In einer 2025 veröffentlichten Studie des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf bei 2,2 Millionen Menschen aus 39 Ländern wurde untersucht, wie sich die Abwesenheit oder Kontrolle dieser Faktoren auf die Lebenszeit auswirken. Frauen, die mit 50 Jahren keine dieser Risikofaktoren haben, entwickeln im Schnitt 13,3 Jahre später eine Herz-Kreislauf-Erkrankung und sterben 14,5 Jahre später als Frauen mit allen fünf Risikofaktoren (bei Männern 10,6 bzw.11,8 Jahre später). Interessant ist auch, dass sich Verhaltensänderungen durchaus auch in fortgeschrittenem Alter lohnen: wer zwischen 55 und 60 seinen Blutdruck in den Griff bekommt oder mit Rauchen aufhört, lebt länger und ohne Herz-Kreislauf-Erkrankung als Menschen, die das nicht ändern.
(Global Effect of Cardiovascular Risk Factors on Lifetime Estimates | New England Journal of Medicine)
Und wie steht es mit der Lebensqualität?
Jeder kennt das von älter werdenden Menschen: auch wenn sie nicht im engeren Sinne krank sind, leidet die Lebensqualität durch altersbedingte Verschlechterungen:
Muskelschwund, Knochenschwund, Gelenkprobleme
Herz-Kreislaufprobleme, abnehmende Lungenfunktion, schlechtere Verdauung
Verschlechterung von Seh- und Hörvermögen, abnehmender Geschmacks- und Geruchssinn
Schwächung des Immunsystems, Schlafstörungen, verminderter Geschlechtstrieb („Libido“)
Gedächtnis- und kognitive Beeinträchtigungen
Depression, Einsamkeit, Ängste
Keine Aufgaben mehr haben, geringere Motivation, Passivität
Diese Verschlechterungen beginnen keineswegs im Rentenalter, sondern weit früher, schleichend und zunächst unbemerkt:
Knochenschwund: ab ca. 40 Jahren
Muskelschwund: ab ca. 30 Jahren
Sehvermögen: ab ca. 40 Jahren
Hörvermögen: ab ca. 40 Jahren
Warum mich insbesondere das mit der Lebensqualität persönlich berührt
Meine Eltern (vor dem zweiten Weltkrieg geboren) wurden zwar deutlich über 80, aber ihre Lebensqualität wurde ab ca. 70 katastrophal schlecht. Ihre Gesundheitsvorsorge war miserabel: keine Vorsorgeuntersuchungen, kein Interesse an gesunde Ernährung, massives Übergewicht, kein Sport, kaum Bewegung, keine Aufgabe mehr im Leben. Meine Mutter starb zuerst (Herzinfarkt), mein Vater blieb zurück. Ich habe mich jahrelang Samstags um ihn gekümmert und bin dann mit ihm Essen gegangen. Das war der Höhepunkt seiner Woche. Meine Versuche, ihm etwas Gesundes auf der Speisekarte schmackhaft zu machen, wurden immer vehement abgelehnt. Stattdessen fette Fleischgerichte mit schweren Soßen. Gleichzeitig wurde seine Gesundheit zusehends schlechter: massive Herz-Kreislaufprobleme, sehr schmerzhafte Polyarthritis, allmähliche Demenz. Ich begleitete ihn auf einer jahrelangen Odyssee durch die Arztpraxen und Krankenhäuser. Der Zusammenhang zwischen seiner Lebensweise und den gesundheitlichen Problemen hat sich in mein Bewusstsein gebrannt und hat dazu geführt, dass ich sehr viel Energie in meine eigene Gesundheitsvorsorge und entsprechende Recherchen investiert habe. Sozusagen eine Art unwissentliches Vermächtnis von ihm an mich.
Ich kenne auch Fälle in unserem Umfeld, bei denen Menschen um das Renteneintrittsalter herum erhebliche gesundheitliche Probleme bekamen, die ihnen das Leben teilweise zur Hölle machten. Ich habe auf dieser Website das Wichtigste zusammengetragen, was man im Vorfeld dagegen hätte tun können.
2. Was sind die Haupteinflussfaktoren auf tödliche Krankheiten?
Wodurch werden schwerwiegende Krankheiten verursacht?
Die Tabelle zeigt die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Krankheiten (Quellen dazu siehe unten). Die Zahlen sind Prozentwerte, z.B. Fettleber ist in 50% der Fälle auf schlechte Ernährung zurückzuführen. Die gelbe Hervorhebung diente mir als Gewichtung (alle ab 30). Die Summe (unterste Zeile) dient lediglich dazu, die Einflussfaktoren zu gewichten, d.h. welcher Einflussfaktor sich stärker auf gefährliche Krankheiten auswirkt als ein anderer.
Kommentare zur Matrix:
Die Zahlen basieren auf Studien. Wenn eine Zelle leer ist, habe ich bei meiner Recherche keine Studie(n) gefunden, das heißt aber nicht, dass das keine Rolle spielt. Bei Osteoporose weiß man z.B. dass es viele weitere Ursachen gibt, z.B. schlechte Ernährung (Kalziummangel, Vitamin-D-Mangel), chronische Entzündungen, chronische Nierenerkrankungen, Schilddrüsenüberfunktion, Nebenschilddrüsenüberfunktion, usw.
Schlafmangel, Bewegungsmangel, chronischer Stress haben geringe Werte. Das liegt daran, dass diese Faktoren schwerer als Ursachen erfassbar sind: Dass der an Lungenkrebs verstorbene Patient langjähriger Raucher war, war bekannt. Ob er lange Jahre Stress hatte, wurde nicht erfasst. Bei chronischem Stress weiß man aber, dass dieser zur Entstehung und insbesondere zur Ausbreitung von Krebs beitragen kann – allerdings ist der Zusammenhang komplex und noch nicht vollständig geklärt.
Und was folgt daraus?
Wer z.B. seine Ernährung umstellt, abnimmt, aufhört zu Rauchen, mehr Sport treibt und alles etwas gelassener angeht, hat sehr gute Chancen das Risko für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Fettleber, Darmkrebs, Lungenkrebs, Leberkrebs, Bluthochdruck und COPD stark zu reduzieren. Toller Deal, oder? Leider einfacher gesagt als getan. Wir werden später sehen, wie man sich schrittweise auf diesen Weg machen kann und die persönliche Lebensqualität kontinuierlich verbessern kann.
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